100 Jahre Kirche in Bramfeld und Steilshoop (Teil 4)

Untertitel: "Teil 4: Zeit des Aufbruchs - Die 70er und 80er Jahre"

Quelle: evangelische kirchenzeitung für bramfeld und steilshoop; Ausgabe Nr.19 Dezember 07 / Januar 08; Hrsg: Kirchengemeinden Bramfeld und Steilshoop; Artikel von Dr. Ingrid Seeler

Das Leben in den Bramfelder Kirchengemeinden entwickelte sich in den 70er Jahren sehr unterschiedlich.

In der Thomaskirche (Bramfeld) amtierte Pastor Dr. Wachs in der ihm eigenen ruhigen, beständigen Art.

In Steilshoop, d.h. in der Gegend um das 1954 neu erbaute Gemeindehaus (heute Georg-Raloff-Ring 11), kümmerte sich Pastor Lenke vor allem um die Flüchtlinge aus Pommern. Dabei gelang ihm eine ungewöhnliche Entdeckung: Die kleinste, 1581 gegossene Glocke seiner Heimatkirche in Wulflatzke/Pommern war nach der Zwangsablieferung im 2. Weltkrieg nicht eingeschmolzen worden, sondern über den Hamburger Hafen nach Stuttgart gelangt. Pastor Lenke konnte diese Glocke nach Steilshoop holen, wo sie anfangs vor seinem Pastorat aufgestellt wurde, später auf dem Bramfelder Friedhof.

Als Folge der 68er Studentenbewegung trugen vor allem die jüngeren Pastorinnen und Pastoren die Aufbruchstimmung in die Kirchengemeinden hinein. Die Arbeit sollte weltoffener und menschennäher gestaltet werden. Aus der konsequenten Bibelauslegung heraus wollte man das öffentliche Leben mitgestalten. Dazu gehörten einmal der Kampf gegen die Nachrüstung als christlich verstandene Friedensarbeit und die Gegnerschaft gegen die militärisch und zivil genutzte Kernkraft, besonders gegen die Errichtung des KKW Brokdorf, unter dem Motto "Bewahrung der Schöpfung".
Am alten Pastorat der Osterkirche hing daher lange ein großes Schild mit der Aufschrift "Atomwaffenfreie Zone".
(Anmerkung des Webmasters: Ebenfalls bis Ende der 90er auch am Jugendhaus der Martin-Luther-King Gemeinde in Steilshoop.)

Diese neue Richtung führte unter den Gemeindemitgliedern zu unterschiedlichen Reaktionen: Zustimmung und Beteiligung ebenso wie Unruhe und Ablehnung.

Die Osterkirche (Bramfeld) fand nach den Pastoren Riedel, Kröger und Reinke, die viel neues Leben in die Gemeinde gebracht hatten, in Joachim Perle (1969 bis 1999), Rolf Baumbach (1973 bis 1991) und Jörg Marquardt (1977 bis 2005) langjährig amtierende Pastoren.

Die Simeonkirche (Bramfeld) richtete sich ökologisch und entwicklungspolitisch aus. Sie gründete die "Bramfelder Laterne", ein geschäft, das neben Veranstaltungen Waren aus Entwicklungsländern anbot. Hier engagierte sich besonders Pastor Jähn, der mehrere Jahre als Entwicklungshelfer in Afrika gearbeitet hatte, zusammen mit seiner Frau.

Etwas ungewöhnlich, aber bei vielen Gemeindemitgliedern sehr beliebt, war Pastor Hartenstein, der als ausgebildeter Opernsänger seine Amtshandlungen gern mit musikalischen Soloeinlagen ausschmückte.

Einen Skandal besonderer Art bescherte der Simeonkirche die erste Pastorin Edda Groth. Sie war Kommunistin und leugnete die Auferstehung des Menschen nach seinem Tode. Dies war theologisch nicht haltbar. Sie wurde aus dem Kirchendienst entlassen.

Die Pastoren Knobbe und Werner sind durch ihre langjährige Tätigkeit noch in guter Erinnerung. Seit 1985 amtiert in der Simeonkirche Pastor Tröstler.

War Pastor Lenke in Alt-Steilshoop noch der traditionellen Kirchenarbeit verbunden, so sollte mit dem Bau der Großsiedlung "neu-Steilshoop" Ende der 80er, Anfang der 70er Jahre durch die dort tätigen jungen Pastoren ein neues Konzept von Kirche verwirklicht werden:
  • Die Gemeinde Jesu Christi ist von ihrem Auftrag her Aktionsgmeinschaft, Gottesdienst wird von der Gemeinede gestaltet.
  • Es soll eine offene Kirche gelebt werden, das Gemeindehaus soll für alle Einwohner offen stehen.

Besondere Aufmerksamkeit wurde hierbei der sozialen Arbeit gewidmet. Die Erfolge waren beachtlich: Lebendige Jugendarbeit, Einrichtung von Kindergruppen. Später Kindergärten und Tagesheime, Altentagesstätten, Diakonie- und Sozialstation, Arbeitsloseninitiativen, Beteiligung an der Steilshooper Koordinierungskonferenz. Bei all diesen Aktivitäten blieben Schwierigkeiten und Rückschläge nicht aus. In seinem Visitationsbericht vom Mai 1982 mahnte Probst Lehmann: die Kirche selbst kann die soziale Not nicht beseitigen, sie muss aber aber konsequenter Mittler an die Öffentlichkeit sein.

Die Ökumene wurde in Steilshoop intensiv gepflegt. Seit 1972 fanden katholische Gottesdienste und Veranstaltungen in evangelischen Einrichtungen statt, bis im Oktober 1977 die St. Johanniskirche an der Gründgenstraße vollendet wurde. Das gemeinsame ökumenische Gemeindeblatt wurde von katholischer Seite erst aufgegeben, als die evangelische Seite den Abdruck einer konsequenten Friedensresolution vorschlug.

Motor dieser Entwicklung in Steilshoop war für 18 Jahre Helmut Elliesen-Kliefoth (1969 bis 1987). Ihm zur Seite stand 10 Jahre lang Pastor Rudolf Wolter (1970 bis 1980). Pastor Merle leitete die psychologische Beratungsstelle. Die später hinzugekommenen Pastoren Rehse, Störmer und Dr. Benedict engagierten sich besonders in der Friedensarbeit. Martina Gehlhaar als erste Pastorin kümmerte sich um die Frauenarbeit. Seit 1987 amtierten Hanna Hirt und Dieter Döring.

Mit dem Pfingstgottesdienst 1974 wurde die neue Kirche mit Gemeindehaus im César-Klein-Ring eingeweiht, auch die "Blaue Kachel" genannt. Gebaut hatte sie die Architektengemeinschaft Patschan, Werner, Winking. Im Pfingstgottesdienst 1979 wurde die Namensgebung "Martin Luther King" gefeiert.

Einen Kirchenturm gab es vorerst nicht. Erst als die Bevölkerung dringend einen verlangte, um die "Blaue Kachel" als Kirche erkennbar zu machen, wurde er 1988 in eigenwilliger Form errichtet.

Die eigentliche Revolution der Kirche fand allerdings ausgerechnet in der von modernen Gemeindemitgliedern krisich angesehenen "Amtskirche" statt. Wir erinnern uns: die eveangelisch-lutherische Kirche hatte 1937 die staatliche Entwicklung zu einem "Groß-Hamburg" nicht mitgemacht. In den 60er Jahren war die Kirchenverwaltung sehr schwieirg geworden, weil auf dem Gebiet des Stadtstaates Hamburg drei verschiedene Landeskirchen amtierten: die Bistümer Hamburg, Holstein und Hannover, das für den Kirchenkreis Harbugr zuständig war. Infolge der Nachkriegsentwicklung gab es ähnliche Probleme auch in anderen Kirchengebieten.

Nach jahrelangen Beratungen und heftigen Diskussionen in allen Gremien war schliesßlich im Jahr 1977 die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche geschaffen. In ihr waren vereint die Bistümer Hamburg, Lübeck, Holstein, Schleswig, die Superintendentur Lauenburg und der Kirchenkreis Harburg. Ein einziger nordelbischer Bischof war damals noch nicht durchsetzbar. Dafür blieben die drei Bischöfe von Hamburg, Holstein und Schleswig. Jeweils einer von ihnen hatte für eine bestimmte Zeit die Leitungsfunktion inne. Das Landeskirchenamt war in Kiel.

Einer jedoch weigerte sich hartnäckig, sein kleines Bistum aufzugeben, nämlich Bischof Kiekbusch von Eutin. Man beließ ihn im Amt bis zu seiner Pensionierung. Dann wurde auch Eutin nordelbisch und dem Bischofssprengel Holstein angegliedert.

Bramfeld und Steilshoop gehörten zwar nach wie vor zur Propstei (Kirchenkreis) Stormann, aber zum Bischofssprengel Hamburg und zur Nordelbischen Kirche.

Seit den 60er Jahren erschwerten die vielen Kirchenaustritte und später die rasante Bevölkerungsabnahme die Arbeit der Kirche so sehr, dass sie ihre Arbeit konzentrieren und grundlegend umstrukturieren musste. Aber das ist wieder ein anderes Kapitel.

Erstversion vom 10.03.2008. Letzte Aktualisierung am 26.02.2023.

Kommentare

von Edda Lechner, Norderstedt am 07.03.2012 17:40
In ihrem Artikel „100 Jahre Kirche in Bramfeld und Steilshoop (Teil 4)“ äußert Frau Dr. Seeler ihre Meinung zu den Kirchenereignissen der 70er und 80er Jahre und nimmt Stellung zu den verschiedenen Pastoren der beiden Gemeinden. Dabei entspricht der Bericht über die Pastorin Edda Groth an der Simeon-Kirche in Hamburg-Bramfeld überhaupt nicht der Wirklichkeit. Das möchte ich – wenn auch erst nach vier Jahren – als Betroffene Edda Groth (heute Lechner) hier einmal darstellen. Durch Zufall habe ich diesen Artikel erst jetzt entdeckt. Der „Skandal“ in der Simeon-Kirche bestand darin, dass ich als Pastorin Edda Groth zusammen mit großen Teile der Gemeinde entsprechend der kritischen Bewegung der 68er in der alten Evangelischen Amtskirche Veränderungen wünschte und auch durchsetzte: Besserer persönlicher Kontakt (Kinder und jugendliche durften mich duzen), mehr Demokratie in den festgefahrenen Gremien (Gründung von Jugend- und Gemeinderäten neben dem Kirchenvorstand), neue Formen der Gottesdienste ohne Talar unter Mitwirkung der Gemeinde, Diskussionen über aktuelle Fragen des Lebens vom Sex über Drogen bis zur antiautoritären Erziehung, Teilnahme am sozialen Geschehen durch eigenes Engagement in diakonischen Einrichtungen, Predigten und Stellungnahmen zu politischen Themen gegen den Vietnamkrieg und für Frieden in aller Welt bis hin zur Teilnahme an Demonstrationen und vieles andere mehr. Ich bin 1967 als ausgesprochen frommer Mensch und voller Elan ins Pastorinnen-Amt gekommen – übrigens war das die erste offizielle Frauen-Ordination der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Schleswig-Holstein. Ich habe nie die Auferstehung geleugnet und selbst Bischof Hübner aus Kiel hat mir dies nie vorgeworfen. Was die Kirchenleitung und meine Gegner in der Gemeinde - vor allem fast der gesamte Kirchenvorstand und die drei Pastoren-Kollegen Steenbock, Werner und Knobbe - mir übel nahmen, war mein unbequemes soziales und politisches Engagement. Deren wiederholter Versuch, mich durch Versetzung los zu werden, wurde von jenen Teilen der Gemeinde, die die oben genannten Veränderungen in der Kirche wünschten, erfolgreich abgewehrt. Ich selbst kam nach sieben Jahren Tätigkeit und mit meiner Erfahrung als Pastorin der Simeon-Kirche, sowie durch bewusste philosophisch-politische Studium (natürlich auch endlich des Marxismus) zu der Überzeugung, dass ich die mir gesetzten Ziele weniger in einer Amtskirche als vielmehr in Betrieben, Gewerkschaften, Aktionsgruppen und Parteien erreichen konnte. Auch meine zuvor starke religiöse Bindung hatte sich in säkulares Denken verwandelt und mein Verbleiben in der Kirche war für mich nicht mehr sinnvoll. Aus eigenem Entschluss trat ich deshalb zusammen mit den zwei gleichgesinnten Pastoren Lechner und Gallmeier (in Norderstedt und Ellerau) 1974 aus der Kirche aus und in den „Kommunistischen Bund Westdeutschland“ ein. Dies habe ich übrigens rechtzeitig öffentlich und ausführlich allen Gruppen in der Kirche, sämtlichen Gemeindemitgliedern und der Presse bekannt gegeben. Die Kirchenleitung konnte darauf nur noch reagieren mit dem Vermerk, ich könne von nun an das Pastoren-Amt nicht mehr ausüben. Logisch! Den aktiven Schritt aus der Kirche heraus hat aber entgegen der Behauptung in ihrem Artikel nicht die Kirche, sondern den haben wir bewusst selbst vollzogen. Zunächst erleichtert, war die Evangelisch-Lutherische Kirchenleitung später darüber doch sehr verärgert, wie sie mir gegenüber im Prozess wegen meiner Klage, mir mein Urlaubsgeld noch zuzubilligen, äußerte. Norderstedt, 7. März 2012, Edda Lechner
von Coki am 07.03.2012 21:03
Vielen Dank für die Klarstellung, Frau Lechner. Ich finde es immer schön wenn direkt beteiligte sich dazu äussern können (imho einer der Stärken des Internets). Der Artikel stammt aus einer Reihe für die Kirchengeschichte in Steilshoop und Bramfeld. Insofern sind Fehler und nicht ganz klare Aussagen zu Geschehnisse, die vor geraumer Zeit passiert sind, immer mal wieder ungenau. Danke nochmal für die Klarstellung, Gruss, Coki

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