Das Wohnmodell in Block VI
Zwischen 1973 und 1983/84 existierte im Block 6 von Neu-Steilshoop eine besondere Wohnform, in der das Konzept von Großfamilien und Gemeinschaften bei Auflösung der Kleinfamilie angeboten wurde. Letzendlich scheiterte das Konzept.
Die beiden Artikel, welche aus dem oben genannten Werk entnommen wurden, stellen sehr schön die Situation in diesem Wohnmodell mit all ihren Schwierigkeiten und Besonderheiten dar. Insbesondere die Gründe des Scheitern, durch Verkomplizierung der Lebensumstände, sind an den beiden, zeitlich unterschiedlichen, Blickwinkeln in den Artikeln gut nachzuvollziehen.
Steilshoop im Jahr 1976: Eine Wohngemeinschaft ist kein Allheilmittel
von Ursula LebertEs riecht nach Pfannkuchen. Pfannkuchen sind, vier Tage vor dem Ersten, ein Billigabendessen, das sich die Wohngruppe "Panik" gerade noch leisten kann. Die sechs jungen Leute sitzen um den langen Tisch in der Küche, zwei Mädchen, vier Männer.
Ich sitze dabei, bekomme Pfannkuchen angeboten. Jeder, der hereinkommt, bekommt Pfannkuchen angeboten. Ich fühle mich ein wenig wie in einem Taubenschlag zur Fütterzeit. Offene Türen, Stühle werden gerückt, einer kommt, einer geht. Jemand erzählt von den Prüfungen, die er heute an der Uni hatte. Ein anderer, Junglehrer, arbeitslos, hat den Tag mit seinem Fahrrad in der Heide verbracht.
"... das muß endlich ganz klar ausdiskutiert werden", höre ich ein Mädchen am anderen Ende des Tisches sagen. "Wir haben das bisher immer verdrängt, aber das bringt nichts." Ihr Nachbar nickt ernsthaft.
Die Pfannkuchen sind gut, auf Wunsch kann man sie auch mit Pflaumen haben.
Nachher wäscht ein junger Mann mit Lockenkopf das Geschirr ab. Er hat Küchendienst, das steht auf einem Plan über dem Kühlschrank. Die andern sind in ihren Zimmern. Sechs Zimmer, zwei Bäder, eine gemeinschaftliche Küche mit Eßecke hat die Wohnung im Parterre rechts von Block VI.
Der junge Mann sagt: "Ich wohne zum ersten Mal in einer Wohngemeinschaft. In mancher Hinsicht ist es komplizierter, als ich mir das vorgestellt habe. Es gibt Schwierigkeiten, wo man sie nicht erwartet, Kleinkram. Oder Schwierigkeiten, weil doch jeder von seiner Erziehung her ziemlich egoistische Vorstellungen hat. Die muß er ablegen, das finde ich gut. Und das Wichtigste ist, daß man hier aus seiner Isolation heraustritt, man fühlt sich nicht ausgeklammert..."
Er trocknet die Tassen ab, räumt sie in den Schrank. Zu dem Mädchen, das hereinkommt, sagt er: "Monika, du hast heute beim Einkaufen zuviel Geld ausgegeben, bist du verrückt, Tomaten für 2 Mark 20."
"Aber du hast Tomaten aufgeschrieben", verteidigt sie sich. "Doch nicht, wenn sie so teuer sind. Wir haben jetzt noch genau 40 Mark fürs Wochenende. Rechne dir das mal aus." Die Küche ist ordentlich aufgeräumt. Der junge Mann knipst das Licht aus. Auf dem Gang hängen Kleider, Plakate. Hinter den Türen kommt Musik hervor. Das Haus ist hellhörig, groß, voll Leben und Lärm um diese Abendstunde.
Block VI ist der berühmteste Bau in Hamburgs neuem Stadtviertel Steilshoop, einzigartig sogar in Europa, schrieben Journalisten. Äußerlich regt er zu solchen Hervorhebungen kaum an: Seine 71 Meter lang geratene Betonfassade ist genauso langweilig wie die Fassaden der anderen Blöcke ringsum. Vor den vier Eingängen deponiert der ewig um die Häuser wehende Wind Papierfetzen und Plastiktüten in den zum Schmuck angepflanzten Fingersträuchern.
Was den Block VI bekanntgemacht hat, ist die Idee des Architekten, hier Wohnungen für Leute zu bauen, die in Gruppen und Großfamilien leben wollen, und diese Leute nach Möglichkeit schon an der Planung der Grundrisse zu beteiligen.
Das Resultat: Gemeinschaftsräume, Küchen für mehrere (statt 72 Küchen, wie für ein Haus dieser Größe normalerweise erforderlich, wurden nur 37 benötigt), eine Dachterrasse für alle, ein Kindergarten im Keller. 210 Menschen aus verschiedenen Schichten seit dem August 1973 unter dem vom sozialen Wohnungsbau finanzierten und deshalb relativ preiswerten Dach: Angestellte und Arbeiter, Selbstständige, Beamte, Studenten, Ehepaare, Eltern mit ihren Kindern, alleinstehende Mütter.
Die Namensschilder an den Haustüren reichen bei weitem nicht aus. Dutzende von Namen sind unter, über, neben Klingelknöpfe und Briefkastenschlitze gekritzelt und geklebt, jede Gruppe ist außerdem noch durch ihren Gruppennamen ausgewiesen: Rote Rübe, Waldfrieden, Panik, Prinz Eisenherz. Briefträger, denke ich, möchte ich hier wohl lieber nicht sein. Möchte ich hier leben? Könnte ich es überhaupt?
Es ist ein Haus, in dem sich alle kennen und duzen, in dem man Geschirr und Kühlschrank teilt, die Miete und die Zeitungen, den Fernsehapparat, Kinderbetreuung, Hausarbeit, die Dose Pulverkaffee und den Kasten Bier. Die Bewohner verwalten sich selbst. Sie haben einen Verein gegründet, das "Wohnmodell Steilshoop e.V.". Jeden Donnerstag um 20 Uhr ist Sitzung im Glashaus auf der Dachterrasse.
Diskussionspunkt an dem Abend, an dem ich der Sitzung beiwohne:
- Wer klaut Wäsche von der Leine?
- Dürfen Liebspaare auf der Dachterrasse knutschen?
- Neuvermietung von zwei leergewordenen Wohnungen.
- Wer streicht die Brüstung der Dachterrasse?
Mieke, Mitte 30, Lehrerin, ist mit einem Arzt verheiratet und hat einen vierjährigen Sohn. Sie wohnt im sechsten Stock. An der Eingangstür ein dezentes schmales Schildchen: Gruppe Grautvornix.
Grautvornix ist die Wohngemeinschaft mit der längsten Tradition - anderthalb Jahre gemeinsame Vorbereitung, Einzug, zwei Jahre gemeinsames Wohnen - und mit der größten Personenzahl: sechs Paare und vier Kinder (Einzelkinder). Mieke und ihr Mann haben vorher in einem Reihenhaus gewohnt. Über diese Zeit sagt sie: "Nachdem ich meinen Beruf aufgegeben hatte, war ich dort praktisch den ganzen Tag allein mit dem kleinen Kind und ans Haus gebunden. Habe so rumgepusselt. Immer dasselbe. Baby versorgen, Haushalt aufräumen und auf den Mann warten. Ich wurde so lustlos, diese Lustlosigkeit hat auf alles übergegriffen. Also, es mußte eine Änderung kommen."
Wir stehen in der Küche, sie stellt die Teller vom Früstück in den Ausguß. Die Küche ist offen zum gemeinsamen Wohnraum mit der großen Sesselrunde. Der Fernseher steht da und ein Papageienkäfig.
Mieke: "Als wir hier einzogen, da habe ich allerdings am Anfang geglaubt, daß ich es nicht schaffen würde. Die Veränderung war so groß, das stürzte so auf mich herein. Ich war wieder berufstätig, als Erzieherin in unserem Kindergarten. Mein Mann hatte dieselben Ansprüche an mich wie vorher im Reihenhaus, er wollte umsorgt werden wie bisher, ich fürchtete, das Kind kommt zu kurz - hier ist ja immer was los, bei sovielen Leuten. Man geht in die Küche, um ein Glas Milch zu trinken, und da sitzt jemand und hat was furchtbar Wichtiges zu besprechen..."
Die Wohnung ist 443,99 Quadratmeter groß. Sie besteht aus sechs Dreizimmereinheiten mit Dusche oder Bad (je Einheit pro Paar bzw. Familie), die sich um die Küche (zwei Herde, vier Kühlschränke), Waschmaschinen- und Vorratsraum, Eßraum, Kinderspielzimmer und Wohnzimmer gruppieren. Die Miete beträgt 2486,40 Mark. Im Mietvertrag ist die Übergabe von 14 Haus- und 30 Zimmerschlüsseln vermerkt.
"Unser Sohn war während der Umgewöhnung tagelang wild, eben überbeansprucht. Das ist er auch heute noch manchmal. Wenn ich es merke, nehme ich ihn zu mir, versuche, ihn auf etwas zu konzentrieren, Malen, Bauen, für sich in seinem Zimmer. Ich schirme äußere Reize ab, gebe ihm Schonraum. Alles in allem hat er sich aber erfreulich entwickelt. Er ist sehr offen, kann auf andere zugehen, Kontakte knüpfen. Ich glaube, für ein Einzelkind ist es sehr wichtig, nicht nur auf die Mutter fixiert zu sein, sondern in einem größeren Beziehungssystem aufzuwachsen."
Sie sagt: "Jetzt allerdings kommt etwas auf ihn zu, da wird er wohl dran knacken. Eine Familie zieht weg von hier, damit verliert er seinen besten Freund. Das war ein bruderähnliches Verhältnis, sie sind gleich alt und viel beisanmen gewesen. Wir müssen sehen, wie sich das entwickelt..."
Eine neue Familie wird einziehen.
Wieweit sich solcher Wechsel auf die Seele eines kleinen Kindes auswirkt, darüber wissen die Psychologen heute noch nichts Eindeutiges zu sagen. Die Situation ist neu. Die "freiwillige Familie", wie der Soziologe Friedhelm Neidhardt das Wohnkollektiv nennt, weicht bewußt von der Festgefügtheit der Kleinfamilie, ihren traditionellen Regeln, ab und gibt damit auch Geborgenheit auf. Sie befindet sich noch mitten im Lernprozeß, am Anfang ihrer Erfahrungen. Daß das Verhältnis zum Besitz tiefer im Menschen verwurzelt ist, als er in gutem Willen annimmt, ist eine frühe Erfahrung, die keiner Wohngruppe erspart bleibt, am wenigsten denen, die sich wie Grautvornix aus Berufstätigen zusammensetzen, aus unterschiedlich Verdienenden. Schon vor dem Einzug war hier auf theoretischer Basis vereinbart worden, daß der gemeinsame Haushalt von den einzelnen je nach der Höhe ihres Einkommens finanziert werden sollte. Trotz dieser grundsätzlichen Einigkeit kamen in der Praxis die alten Befürchtungen und Ressentiments an die Oberfläche: mehr Verdienende fürchteten um ihren Komfort, weniger Verdienende hatten Hemmungen, "ausgehalten" zu werden. "Erheblicher Konfliktstoff", notierte ein Gruppenmitglied nach einigen Wochen des Zusammenlebens nüchtern. Und: "Unüberwindlich scheint auch jetzt noch die Abneigung einzelner Gruppenmitglieder zu sein, sich selbstgesetzten Aufgaben wie Reinigungs- und Einkaufsdienst zu unterwerfen."
Nach zwei Jahren bezeichnet die Gruppe ihr Finanzierungssystem als eingespielt. Die festen Kosten wie Miete, Strom, Fernsehgebühren, Zeitungsabonnements, Wasser, Müllabfuhr sind auf die einzelnen Gruppenmitglieder nach der Höhe ihres Einkommens aufgeteilt. Die Frage des Reinigungs- und Einkaufsdienstes ist Routine. Auch ohne den Plan an der Küchenwand weiß jeder inzwischen, wann er mit den Pflichten an der Reihe ist. Auf gemeinsame Rechnung werden Grundnahrungsmittel, Waschmittel, Putzmittel eingekauft. Mag sein, daß gewissen Ansprüche der Gründerzeit an ein vollkommenes Zusammenleben etwas nachgegeben haben. Gekocht und gegessen wird in der Regeln nicht gemeinsam. Die Geschirrspülmaschine neben den Herden bleibt weitgehend unbenutzt, weil, wie Mieke sagt, es schwer zu organisieren ist, wer sie aus- und einräumen soll.
"Ideologische Erwartungen, die gehen schief", sagt Jürgen, Mitte Dreißig, Betriebswirt und Rationalisierungsfachmann, der von Anfang an alle Konflikte mit durchgestanden hat. "Die Gruppe ist auch kein Allheilmittel für Probleme bei der Kindererziehung und keine Patentlösung bei Partnerschwierigkeiten."
Er sitzt mit seiner Freundin Frauke beim Abendessen. Dosenfisch, Weißbrot, Orangensaft vom Großmarkt. Jürgen: "Ich bin an und für sich ein penibler Mensch, sehr ordentlich, bürgerlich, von klein auf so erzogen. Eine Wohngemeinschaft, das Leben in einer Gruppe, das lag überhaupt nicht in meinen Vorstellungen. Durch Zufall kam ich in diese Kreise. Bei einer Tagung sagte jemand, daß es so etwas gibt und ob man es nicht eigentlich mal versuchen sollte. Damals hatte ich ziemliche private Schwierigkeiten. Die Idee kam mir gut vor. Meine Frau war auch dafür. Meine damalige Frau."
Er sagt: "Der Tag, an dem wir hier eingezogen sind - der Möbelwagen ist vorgefahren, und die anderen standen alle schon am Fenster und winkten -, das war der schönste Tag in meinem Leben."
Seine Ehe ist inzwischen geschieden. Die Hoffnung, die zur Qual gewordene Beziehung könne sich im offeneren, geselligen Rahmen wieder erholen, hat sich nicht erfüllt. Es zeigte sich auch in anderen Fällen, daß die Gruppe nicht glättet und ausgleicht, sondern eher zur Auseinandersetzung herausfordert, vorhandene Probleme aufdeckt.
"Wenn Leute Knatsch haben, kriegen das die anderen auch mit. Das ist eine gewisse Gefahr für eine Zweierbeziehung ganz allgemein. Andererseits entfällt die autoritäre, selbstsichere Haltung, mit der eine Partner den anderen tyrannisieren kann." Jürgens Frau ist in eine andere Wohngemeinschaft gezogen.
Sehe ich zuviele Probleme? Zuviel Kleinkram? Habe ich es bequemer erwartet? Manchmal während der zwei Tage meines Besuchs in Steilshoop bin ich erschöpft, manchmal fasziniert, manchmal überfordert und erdrückt von den vielen Menschen in diesem Haus, ihren Zielen, Plänen, Bemühungen. Gelegentlich ereilt mich auch der Gruseleffekt, den der Berliner Psychologe Helmut Kentler, der selbst in einem Kollektiv lebt, als Begleiter öffentlicher Neugier beschreibt: "Man empfindet die Existenz von Wohngruppen als Angriff auf eigene Gewohnheiten und Überzeugungen ..., man wittert nichts Gutes hinter Experimenten, bei denen es darum geht, nicht nur bessere Alternativen, sondern sogar "Gegeninstitute" zur Familie zu entwickeln."
Ich lerne Phoebe kennen.
Phoebe ist anderthalb Jahre alt, ein kleines Mädchen mit silberblonden Haaren und einem Windelpaket in den Hosen. Sie ist in eine Gruppe hineingeboren, zu einem Zeitpunkt, als die Ehe ihrer Eltern schon in einer schweren Krise steckte. Heute leben ihre Eltern getrennt - nicht geschieden, sie wollen sich eine Atempause einräumen. Phoebe wird abwechselnd von beiden versorgt, und wenn beide (Studenten) in den Vorlesungen sind, gibt es immer jemanden, der sich um sie kümmert. Zum Beispiel Gudrun, Sozialpädagogin, Mitglied der Gruppe Rote Rübe. Wir liegen in tiefen Sesseln irgendwo, ich habe es aufgegeben, die Wohnung, in der ich mich gerade befinde, einzuordnen. Phoebe macht Purzelbäume auf dem Boden. "Ich frage mich manchmal", sagt Gudrun, "was aus ihr geworden wäre, was sie wohl für Schäden hätte, wenn alles, die ganze Ehe der Eltern, allein auf das Kind getroffen wäre."
Das stimmt. Der Familienkrieg hat Phoebe weitgehend verschont. Aber dafür ist ein anderes Problem entstanden: Von allen mit denen Phoebe umgeht, liebt sie Gudrun am meisten. An ihr hängt sie, von ihr läßt sie sich ins Bett bringen. Nächsten Monat wird Gudrun ausziehen. Pech für Phoebe.
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Steilshoop 26 Jahre später: Ein kläglicher Untergang
von Stephan LebertVon dem großen Projekt sind ein paar traurige Zeitungsartikel übrig geblieben. Zum Beispiel schreibt "Die Welt" vom 13. Juni 1978 unter der Überschrift "Probleme mit dem Wohnen von morgen": "... Was ist aus dem Versucht geworden? Der erste Eindruck ist nicht sehr günstig. Das Haus wirkt heruntergekommen und vernachlässigt. Die Bewohner berichten von Krisen, Fehlschlägen, Mietrückständen und Mangel an Gemeinsinn." "Der Pioniergeist ist ihnen abhanden gekommen", urteilt Ferdinand Gatermann, Sprecher der Wohnungsgesellschaft SAGA, die das Haus zur Verfügung stellt.
Weiter steht in dem Artikel, der zweieinhalb Jahre nach unserem damaligen Bericht erschienen ist: "Von den Bewohnern des Jahres 1973 lebt fast niemand mehr im Haus. Auch die Gruppe Wolf besteht nicht mehr. In ihr waren vier Einzelkindfamilien vereinigt, mit eigenen Wohnbereichen rund um die gemeinsame Küche und drei Gemeinschaftsräumen. Die vier Einzelkinder wuchsen fast wie Geschwister miteinander auf. Niemand weiß, warum die Gruppe auseinandergegangen ist. Schade, dass nicht einmal der Versuch gemacht worden ist, das Scheitern dieser Idee wissentschaftlich zu untersuchen..."
Und in dem Artikel heißt es: "Die Krisen der letzten Monate haben die Verantwortlichen des Modellvereins zum Nachdenken veranlasst. Wie überall, so läuft auch hier nichts ohne die Initiative Einzelner. Und in letzter Zeit ist so gut wie nichts gelaufen... Aber man hat Geduld miteinander und berücksichtigt, dass viele von den neuen Bewohnern bisher allein gelebt haben und das Zusammenleben erst lernen müssen."
Zwei Jahre später erscheint im Februar 1980, wieder in der "Welt", ein Artikel, der so beginnt: "Eine 18-Zimmer-Wohnung in einem Mietshaus des sozialen Wohnungsbaus - so etwas hat es in Hamburg tatsächlich einmal gegeben. Sie war Teil des vor sechseinhalb Jahren begonnenen Wohnmodells Steilshoop im Bezirk Wandsbek. Statt jedoch große Wohngemeinschaften anzulocken, stand die Riesenwohnung mehrere Monate leer. niemand wollte einziehen. Dann wurden neue Trennwände eingezogen, Badewannen und Toiletten installiert und damit drei kleinere Wohneinheiten geschaffen. Sofort fanden sich Wohngemeinschaften, die dort einziehen wollten. Das ist eine der Erfahrungen, die in dem Wohnmodell gemacht wurden: Entgegen der Vorstellungen der Initiatoren wollen Mitglieder einer Wohngemeinschaft höchstens mit sechs Leuten zusammenwohnen, um noch zu jedem Gruppenmitglied eine überschaubare Beziehung haben zu können."
Der Artikel berichtet auch über finanziellen Ärger: "Der Verein hat inzwischen gelernt, daß Selbstverwaltung auf Grundlage von sozialen Verständnis und Hilfsbereitschaft allein nicht funktioniert. Seit eineinhalb Jahren muß der Verein über einen Rechtsanwalt ausstehende Mietgelder eintreiben, für die er als Hauptmieter dem Eigentümer der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft SAGA gegenüber verantwortlich ist. Die SAGA informiert den Verein monatlich über den Stand des Mietkontos. Das Wohnungsunternehmen unterstützt das Experiment nach wie vor: Es stundete dem Verein 62.000 Mark Mietschulden aus leer stehendem Wohnraum und bezahlte über 200.000 Mark für die Umwandlung der 18-Zimmer-Wohnung. Die ursprünglich eingeplante Flexibilität der Wände als auch die bedürfnisgerechte Veränderung der Innenwände samt zusätzlicher sanitärer Einrichtungen ist in der Praxis recht kostspielig geworden... Die Trostlosigkeit der grauen Betonumwelt vertreibt jedoch viele Mieter aus Steilshoop. Das Treppenhaus zum Wohnmodell Steilshoop macht einen heruntergekommenen Eindruck..."
Im Jahr 1983 erscheint in der "taz" noch ein letzter Artikel, der wenigstens noch ein wenig mit dem einstigen Projekt zu tun hat. Das ursprüngliche Projekt existiert nicht mehr, aber eine Gruppe von Leuten aus dem Verein wollen in ein neues, leer stehendes Haus mit städtischen Fördergeldern ziehen. Die "taz" schreibt: "Inzwischen hatte die Bezirksversammlung Mitte einstimmig beschlossen, das Haus vor dem Abriss zu schützen und es zur Nutzung im Sinne des Wohnmodells freizustellen. Eifrige Bemühungen der SAGA, die die unbequemen Mieter aus Steilshoop endlich loswerden will (und vertraglich dazu verpflichtet ist, Ersatzwohnraum zu beschaffen) dürfte insgesamt auch eine Rolle spielen."
Friedhelm Neidthart ist in der "Brigitte" des Jahres 1976 bei der Beschreibung des Projektes Steilshoop mit dem Begriff der "freiwilligen Familie" zitiert worden. Damals war er einer der führenden Denker der Familiensoziologie. Heute winkte er ab: Nein, er sei auf diesem Gebiet kein Experte mehr, schon lange nicht. Er habe sein Leben immer so eingerichtet, dass er sich gerade mit den Themen befasst habe, die ihn jeweils persönlich beschäftigten. "Damals kamen meine Kinder auf die Welt, da war das für mich natürlich sehr interessant." Ach, sagt er, die Siebzigerjahre: Das war eben die Zeit, in der man an die großen Lebensentwürfe dachte. Man müsse nüchtern feststellen, dass alle großen Modelle, die Familie betreffend, gescheitert seien. "Alle haben damals die Beharrlichkeit kultureller Errungenschaften unterschätzt."
Übrig geblieben, sagt Neidthart, sei die Kleinfamilie, "die Version der Kleinfamilie."
Ergänzung
Im Jahr 2012 hat die Hamburger Zeitschrift "Hinz und Kunzt" einen Artikel zum Block 6 mit zwei ehemaligen Mitbewohnern unter dem Titel "Wir waren Hippies" veröffentlicht.Der lesenswerte Artikel geht auf die Ursprünge und deren Ideen ein, sowie die Probleme und Folgen. Er schliesst mit einem Fazit ab.
Link: https://www.hinzundkunzt.de/wir-waren-hippies/
Als Download: PDF "Wie waren Hippies".
Kommentare
von rainer am 17.11.2009 17:54 habe von 1976 bis anfang 1978 im wohnmodell steilshoop gewohnt, in der WG "family" (links oben).möchte diese zeit nicht missen. |